Darin schlagen sie vor, die Widerrufsverfahren im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, BAMF, abzuschaffen oder zumindest längerfristig auszusetzen. Zudem befürworten sie eine Entlastung der Asylverfahren, indem man für diejenigen Personenkreise vereinfachte Verfahren einführt, die ohnehin mit höchster Wahrscheinlichkeit Schutz erhalten werden - wie etwa Asylsuchende aus Syrien oder Eritrea. Zudem machen Alt und Lauinger einen Vorschlag zum Abbau der vielen vom BAMF unbearbeiteten Fälle.
„Wir müssen schleunigst wegkommen von den vielen Scheinlösungen, die in der Debatte auf Bundesebene gerade diskutiert werden. Mit unseren Vorschlägen zeigen wir Schritte auf, wie wir kurz- und mittelfristig zu Verbesserungen in den Verfahren kommen können. Ich habe vor allem an den Bund die Bitte, die Vorschläge schnell umzusetzen“, fordert Integrationsministerin Irene Alt.
Migrationsminister Lauinger ergänzt: „Zentral ist die Entlastung des Bundesamtes von unnötiger Arbeit, damit die Asylverfahren schnell abgearbeitet werden können. Wir müssen vermeiden, dass dort zusätzliche Arbeit erzeugt wird, wie etwa die vom Bundesinnenministerium vorgesehenen erneuten Einzelfallprüfungen bei Syrern, die ohnehin in nahezu jedem Fall Schutzanspruch haben.“
Das Positionspapier zeigt zudem Wege auf, wie es längerfristig zu einer besseren Migrationssteuerung kommen kann. In der aktuellen Debatte um Flüchtlingskontingente treten Alt und Lauinger dafür ein, diese Kontingente neben die individuelle Schutzprüfung zu stellen. Alt und Lauinger: „Gibt es einmal eine vernünftige Kontingentregelung, haben wir die begründete Hoffnung, dass sich deutlich weniger Menschen aus den Nachbarländern Syriens auf individuelle und damit nicht steuerbare, vor allem aber höchstgefährliche Fluchtwege begeben, weil sie die Chance haben, im Rahmen des Kontingents berücksichtigt zu werden.“
Den Plan der Bundeskoalition, den Familiennachzug zu sogenannten subsidiär geschützten Flüchtlingen einzuschränken, lehnen die Minister ab. Alt: „Auch dies ist nur eine Scheinlösung - und eine herzlose dazu. Es bringt nicht viel Entlastung für Deutschland, nicht mit der Familie zusammenleben zu dürfen. Vielmehr behindert dies die Integration und außerdem spricht unser Grundgesetz mit dem Schutz der Familie eine deutlich andere Sprache.“ Alt und Lauinger erklären übereinstimmend: „Wir sind von der starken Flüchtlingszuwanderung herausgefordert. Aber wir haben auch den Ehrgeiz, diese zu bewältigen. Und wir bieten konkrete Lösung an.“
27. November 2015
Ministerin Irene Alt, Rheinland-Pfalz
Minister Dieter Lauinger, Thüringen
Positionspapier der Grünen MigrationsministerInnen der Länder
zur aktuellen Flüchtlingspolitik auf Bundesebene
Aktuell kommen in Deutschland weit überwiegend Flüchtlinge an, denen im Ergebnis Schutz zu gewähren ist. Die größte Gruppe sind dabei Syrer.
Wir stehen in Deutschland vor der wohl größten Herausforderung seit Jahrzehnten. Die Wahrheit, der wir uns stellen müssen, ist: Es gibt keine schnelle und keine einfache Lösung, und wir müssen uns darauf einstellen, dass die Aufgabe uns dauerhaft beschäftigt.
Wir sehen heute leider: Deutschland hat es versäumt, Einwanderung besser zu steuern. Das schlichte „Weghalten-wollen“ von Migrationsbewegungen kann in einer globalisierten und digitalisierten Welt nicht funktionieren. Jeder Teil der Welt ist heute sichtbarer für Migranten und Flüchtlinge. Und jeder Teil der Welt ist auch besser erreichbar. Vielleicht unter Mühen und Todesgefahr, aber gerade für die Verzweifelten erreichbar.
Und weil Deutschland gleichwohl so an die Dinge herangegangen ist, kam es auch nicht zu einem strategischen Herangehen und zur Schaffung eines effektiven Instrumentariums, das wir im Rahmen eines modernen Einwanderungsgesetzes sonst heute an der Hand hätten, mit dem wir Migration besser lenken könnten. Nun stehen wir leider vor vielen Fragen, die sich sonst so nicht stellen würden und die auch den Blick auf die Chancen von Einwanderung verstellen: Denn klar ist auch, Deutschland braucht Einwanderung, wenn wir unseren Wohlstand halten wollen. Experten sprechen von einer nötigen Nettozuwanderung von rund 400.000 pro Jahr!
Die aktuelle Situation würde beherztes Zupacken der Politik erfordern. In der aktuellen Debatte wird aber leider nach wie vor keine Lösung für das Kernproblem zu langer Asylverfahren angeboten. Stattdessen werden Scheindiskussionen, wie jetzt zum Familiennachzug oder zum Dublin-Mechanismus geführt. Von dieser Politik des „Als-ob“ müssen wir aber im Interesse Deutschlands schnell wegkommen – im Interesse der Flüchtlinge aber auch im Interesse unseres gesellschaftlichen Zusammenhaltes. Komplexe Probleme verlangen auch komplexe Antworten.
I. Kernproblem weiterhin: Zu langsame Verfahren
Unser Kernproblem war, ist und bleibt die viel zu lange Verfahrensdauer. Dies wird nun sogar noch verschärft, weil die MitarbeiterInnen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nun wieder in jedem einzelnen Fall eine Dublin-Überprüfung durchführen sollen.
Nicht nur für diejenigen, die höchstwahrscheinlich einen Schutzstatus erhalten werden, auch für diejenigen, für die die Situation nicht so klar ist, muss das Bundesamt schneller entscheiden. Asylbegehrende, aber auch Staat und Gesellschaft, sollten wegen der vielfältigen Folgen schnellstmöglich darüber Gewissheit haben, wer welche Bleibeperspektive hat.
Derzeit ist es im Bundesamt aber zu einem Bearbeitungsrückstau von über 328.000 Anträgen gekommen. Die Zeiträume, nach denen ein Asylantrag überhaupt gestellt werden kann und nach dem ein solcher beschieden ist, sind nach wie vor erheblich zu lang.
Das Bundesministerium des Innern und das Bundesamt müssen weiter mit Hochdruck daran arbeiten, dass mehr EntscheiderInnen eingestellt werden. Es ist erschreckend, wie langsam eine Behörde, die im Zuständigkeitsbereich des Bundesinnenministeriums liegt, hier vorankommt.
Zugleich müssen das Bundesamt von unnötiger Arbeit entlastet und für bestimmte Personengruppen einfachere Verfahren vorgesehen werden:
1. Streichung oder vorübergehende Aussetzung der sogenannten Widerrufsverfahren nach § 73 Absatz 2a Satz 1 Asylgesetz:
Die Widerrufsverfahren binden Mitarbeiterkapazitäten, obwohl die Widerrufsverfahren ganz überwiegend nicht zu Widerruf oder Rücknahme des Schutzstatus führen. Mit der Streichung oder der längerfristigen Aussetzung können Mitarbeiterkapazitäten für die Bearbeitung von Asylanträgen freigestellt werden, die sich mit der asylrechtlichen Materie auskennen und daher – anders als neu einzustellende EntscheiderInnen – tatsächlich zügig im Bereich der Antragsentscheidung eingesetzt werden können.
Um das Ziel vereinfachter Entscheidungsprozesse in gleichgelagerten oder sehr ähnlichen Fällen zu erreichen und um so Entscheidungskapazitäten im Bundesamt freizustellen, sollte genau umrissenen Flüchtlingsgruppen ein Status angeboten werden, der ihnen eine freiwillige Beendigung des komplizierteren, längeren und verwaltungsmäßig aufwändigeren Asylverfahrens ermöglicht. Zugleich sind die Voraussetzungen möglichst zu reduzieren, damit die Regelungen in der Praxis einfach zu handhaben sind.
2. Schaffung einer „Altfallregelung“ zur Entlastung des Asylverfahrens für Betroffene, deren Antrag bereits seit längerem eingereicht aber vom Bundesamt nicht entschieden ist:
Das Aufenthaltsrecht nach einer solchen Altfallregelung könnte erteilt werden, wenn das Asylverfahren bereits beispielsweise seit zwei Jahren ergebnislos andauert. Der Asylantrag müsste hierfür zurückgenommen werden.
Bei der angesprochenen Gruppe wäre wegen der langen Verfahrensdauer in einer sehr hohen Zahl der Fälle zu erwarten, dass zumindest Abschiebungshindernisse unterhalb der Genfer Flüchtlingskonvention festgestellt werden. Sicherheitsbelangen wird durch den Ausschluss in Fällen des § 60 Absatz 8 Aufenthaltsgesetz oder des § 3 Absatz 2 Asylgesetz Rechnung getragen.
Welcher genaue Personenkreis betroffen sein soll, kann durch Abrede zwischen den Ländern und dem Bund umrissen werden. Vorstellbar wäre etwa ein Verfahren, in dem das Bundesamt den örtlichen Ausländerbehörden listenmäßig Vorschläge unterbreitet, die diese dann abschließend prüfen. Uns wäre bereits geholfen, wenn dann nur ein Teil dieser Asylfälle mit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beendet werden könnten.
Als Altfallregelung sollte die Norm befristet werden. Es muss natürlich für jeden Betroffenen möglich bleiben, auf der Prüfung als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention zu bestehen.
3. Schaffung eines vereinfacht zu gewährenden, adäquaten Aufenthaltsrechts für Flüchtlinge aus Staaten, bei denen die Schutzgewährung in fast jedem Fall erfolgt:
Ein solches Aufenthaltsrecht könnte Flüchtlingen aus Syrien, Eritrea oder dem Irak erteilt werden, bei denen die Schutzquote gegenwärtig ohnehin nahe 100 Prozent liegt. Ihnen sollte ein dem Schutzstatus der Genfer Flüchtlingskonvention adäquates Aufenthaltsrecht mit entsprechenden Folgerechten angeboten werden. Vorauszusetzen wäre, dass der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zurückgenommen wird.
Auch hier sollte mit Blick auf Sicherheitsbelange die Erteilung für die Fälle des § 60 Absatz 8 Aufenthaltsgesetz oder des § 3 Absatz 2 Asylgesetz ausgeschlossen werden. Die Regelung könnte befristet werden.
II. Bessere Migrationssteuerung durch Kontingentlösungen
Sinnvolle und rechtskonforme Flüchtlingskontingente müssen neben den individuellen Flüchtlingsschutz (Genfer Flüchtlingskonvention, Asyl, subsidiärer Schutz) gestellt werden. Sie werden bestenfalls europäisch konzipiert und eröffnen in diesem Rahmen auch legale Fluchtmöglichkeiten.
Sie können so zu einer besseren Migrationssteuerung beitragen, weil viele Betroffene damit ein Angebot erhalten, das sie davon abbringt, sich auf den ungeplanten, ungesteuerten, vor allem aber beschwerlichen und gefährlichen Weg über die bekannten Fluchtrouten zu machen.
Es ist höchste Zeit, ein solches Instrument zu schaffen, denn die Zahl der Flüchtlinge wird nach dem Winter womöglich sogar zunehmen, wenn der Krieg in Syrien weiter eskaliert.
III. Rückkehr bei Betroffenen ohne Schutzanspruch
Wer abschließend keinen Schutzstatus in unserem Land erhalten kann, muss in sein Herkunftsland zurückkehren. Das ist geltendes Recht, das die Länder ausführen. Auch hierfür ist aber Voraussetzung, dass das Bundesamt erst einmal entscheidet!
Ebenso geltendes Recht ist es, dass dabei zunächst freiwillige Möglichkeiten geprüft und mit den Betroffenen besprochen und vereinbart werden.
Freiwillige Rückführungen sind weniger aufwendig, schneller und humaner und haben daher auch weiterhin Priorität. Bereits in der Vergangenheit haben wir aber auch abgelehnte Asylbewerberinnen und -bewerber abgeschoben, wenn zuvor eine Rückführung auf freiwilliger Basis nicht durchgeführt werden konnte. Das werden wir auch weiterhin so handhaben.
Rheinland-Pfalz und Thüringen setzen erfolgreich auf die Beratung zur freiwilligen Rückkehr von Ausreisepflichtigen. Neun von zehn Ausreisepflichtigen verlassen Rheinland-Pfalz freiwillig, nur jeder Zehnte muss abgeschoben werden. Hierzu trägt auch die „Landesinitiative Rückkehr“ bei, die in diesen Tagen zehn Jahre alt wird und aus der freiwillig Ausreisende unterstützt werden können. Unterm Strich ist die freiwillige Rückkehr zudem kostengünstiger, als Zwangsmittel einzusetzen. In Thüringen hat sich die Zahl der Anträge auf freiwillige Ausreise in den vergangenen Monaten deutlich erhöht. Ihre Zahl liegt etwa fünfmal so hoch wie die der Abschiebungen.
IV. Integration
Angesichts der riesigen Herausforderung im Bereich der Integration wird über die adäquaten Mittel viel zu wenig diskutiert. Wir brauchen einen schnellen Ausbau und eine vernünftige Ausstattung der Integrationskurssysteme. Berufsbezogene Sprachkurse und die Unterstützungsinstrumente der Arbeitsförderung müssen weiter geöffnet werden.
Bei der Integration kann man nur falsch liegen, wenn man Angebote nicht so offen wie möglich gestaltet. Hier müssten uns die Fehler der Vergangenheit eine Lehre sein. Nicht umsonst haben wir auch heute noch die über Jahrzehnte gemachten Integrationsfehler zu bewältigen. Es ist daran zu erinnern, dass die so erfolgreichen Integrationskurse seinerzeit auf Grüne Anregung hin überhaupt erst etabliert wurden.
V. Schluss
Als zuständige Grüne MinisterInnen sehen wir unser Land natürlich herausgefordert. Aber wir haben auch den Ehrgeiz, die Aufgabe zu bewältigen und erfolgreich zu sein. Und wir bieten konkrete Lösungen an.