Sie haben großes Leid erlebt, an dem sie in vielen Fällen bis heute tragen. Das waren inakzeptable Menschenrechtsverletzungen“, so die rheinland-pfälzische Familienministerin Irene Alt, die heute die Umsetzung der Empfehlungen des Runden Tisches Heimerziehung 50er und 60er Jahre in Rheinland-Pfalz vorgestellt hat. Dafür stellt das Land in den kommenden fünf Jahren 3,295 Millionen Euro bereit.
Zur Aufarbeitung des Unrechts an ehemaligen Heimkindern wurde Anfang 2009 ein Runder Tisch unter Vorsitz der ehemaligen Bundestagsvizepräsidentin Frau Dr. Antje Vollmer eingerichtet. Er hat am 13. Dezember 2010 seinen Abschlussbericht vorgelegt. Darin wird insbesondere die Einrichtung eines Fonds für ehemalige Heimkinder in Höhe von 120 Millionen Euro gefordert. Zum einen sollen damit Rentenersatzleistungen für ehemalige Heimkinder finanziert werden, die als Jugendliche gearbeitet haben, ohne dass Rentenbeiträge entrichtet wurden. Zum anderen stehen Mittel für Folgeschäden zur Verfügung, wie zum Beispiel für gesundheitsfördernde Maßnahmen bei körperlichen Verletzungen oder die Behandlung von Traumatisierungen aufgrund körperlicher oder seelischer Gewalt bzw. sexuellem Missbrauch.
Bund, Länder und Kirchen haben zwischenzeitlich alle Vorbereitungen zur Einrichtung des Fonds getroffen, der zum 1. Januar 2012 in Kraft tritt. Die 120 Millionen Euro werden zu je einem Drittel von Bund, Länder und Kirchen gezahlt. Rheinland-Pfalz wird sich an dem Fonds mit 2,32 Millionen beteiligen. Vorgesehen ist, dass Leistungen aus dem Fonds in einem Zeitraum von fünf Jahren beantragt werden können. Irene Alt: „Wir werden keine Wiedergutmachung leisten können, aber vielleicht gelingt es uns in dem einen oder anderen Fall Folgeschäden abzumildern.“
Die Ministerin hat heute fünf Eckpunkte vorgestellt, wie die Empfehlungen des Runden Tisches in Rheinland-Pfalz umgesetzt werden sollen: Einrichtung einer Beratungsstelle beim Landesjugendamt und Benennung von Ansprechpartnerinnen und –partnern bei den 41 Jugendämtern im Land, Einrichtung eines die Landesregierung beratenden Beirats, die Dokumentation der Vorkommnisse in Heimen, Entwicklung eines Präventionskonzepts und das Anerkennen der erlittenen Unrechts und Leids. (Weitere Informationen zu diesen Punkten entnehmen Sie bitte dem Anhang dieser Pressemitteilung.)
Die Umsetzung der Eckpunkte wird das Ministerium mit rund 975.000 Euro finanzieren. Dabei entfallen alleine auf die Einrichtung der regionalen Anlauf- und Beratungsstelle rund 375.000 Euro für fünf Jahre.
Irene Alt: „Die Umsetzung der Empfehlungen des Runden Tisches Heimerziehung ist für mich selbstverständlich. Es geht dabei auch darum, ehemaligen Heimkindern ihre Würde zurück zu geben, die sie durch die Heimerziehung verloren haben. Dieser Verantwortung stellen wir uns. Dabei ist für mich klar: Wir werden den Weg gemeinsam mit den Betroffenen gehen.“
Anhang
Die fünf Eckpunkte bei der Umsetzung der Empfehlungen des Runden Tisches Heimerziehung:
- Beim Landesjugendamt wird für die fünf Jahre eine Anlauf- und Beratungsstelle für ehemalige Heimkinder eingerichtet, die heute in Rheinland-Pfalz leben. Dort können sie sich beraten lassen und Anträge auf Sachleistungen aus dem Fonds stellen.
- Ein landesweiter Beirat mit Vertretern aus Politik, Kirchen, Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege, Kommunen, Wissenschaft sowie Betroffenen soll die Arbeit der Anlauf- und Beratungsstelle begleiten. Er berät die Landesregierung bei der Entwicklung geeigneter Präventionsstrategien in Einrichtungen, die Kinder oder Jugendliche betreuen. Vorsitzende des Beirats soll Frau Staatssekretärin Margit Gottstein werden.
- Die Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren in Rheinland-Pfalz soll systematisch aufgearbeitet und dokumentiert werden. Ziel ist es, dabei rückblickend unter Beteiligung der Betroffenen für die Zukunft zu lernen und geeignete Präventionsstrategien zur Verhinderung von Grenzverletzungen bei Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen zu entwickeln.
- Die Prävention und Zukunftsgestaltung hat im Abschlussbericht des Runden Tisches eine ebenso große Bedeutung wie im Bericht der Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs. Das Land wird die Empfehlungen aufgreifen und sieht derzeit drei Ansatzpunkte:
- Erarbeitung von Mindeststandards und Leitlinien für den Umgang von Institutionen mit sexuellem Missbrauch sowie bei konkreten Verdachtsfällen,
- Stärkung von Beschwerdeverfahren und Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in Heimen und
- Intensivierung der Qualifizierung von Fachkräften in Heimen und bei Jugendämtern.
- Die Anerkennung von erlittenem Unrecht und Leid der ehemaligen Heimkinder durch die Repräsentanten der damals verantwortlichen Träger und politisch Verantwortlichen anzuerkennen hat im Abschlussbericht des Runden Tisches einen breiten Raum eingenommen. Daher würde es die Landesregierung begrüßen, wenn sich der rheinland-pfälzische Landtag mit der Thematik befasste. Dies wäre Ausdruck einer politisch verantwortlichen Auseinandersetzung mit dem Thema „Heimerziehung der 50er und 60er Jahre“