„Das ist eine sehr gute Basis, um eine möglichst gute Alterseinschätzung und Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zu gewährleisten“, erklärte Familienstaatssekretärin Christiane Rohleder.
Zugleich hat das Ministerium eine Präzisierung des Verfahrens zur Altersfeststellung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen veranlasst. Dazu zählt, genau zu definieren, was Zweifelsfälle sind, die eine medizinische Alterseinschätzung erforderlich machen. Die Ergebnisse eines vom rheinland-pfälzischen Familienministerium ausgerichteten Bund-Länder-Fachgesprächs werden in eine neue Empfehlung zur Altersfeststellung einfließen, mit der sich das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung (LSJV) an die kommunalen Jugendämter richten wird. Das Familienministerium hatte das LSJV bereits am 20. Februar gebeten, die Eckpunkte zur Altersfeststellung für Rheinland-Pfalz und damit das gesamte Verfahren einer kritischen und gründlichen Prüfung zu unterziehen. Diese Eckpunkte werden demnächst vorgestellt.
Das Bund-Länder-Fachgespräch fand Anfang der Woche in der rheinland-pfälzischen Landesvertretung in Berlin statt. Ein erstes Resultat dieses Fachdialogs, an dem Fachleute mehrerer Bundesländer, des Bundesfamilienministeriums, aber auch Praktikerinnen und Praktiker aus Jugendämtern, Juristinnen und Juristen sowie Medizinerinnen und Mediziner teilnahmen: Die bundesgesetzlichen Grundlagen, die einem mehrstufigen Vorgehen für die Altersfeststellung von Jugendämtern bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zugrunde liegen, sind ausreichend und müssen weder verändert oder erweitert werden. Allerdings ist derzeit in der Praxis häufig unklar, wann ein Zweifelsfall vorliegt, bei dem nach dem Gesetz auch eine medizinische Alterseinschätzung vorgeschrieben ist.
Nach Auffassung der Expertinnen und Experten sollte eine medizinische Alterseinschätzung auf jeden Fall erfolgen, wenn die Selbstauskunft des Betroffenen und das Ergebnis einer qualifizierten Inaugenscheinnahme des zuständigen Jugendamts signifikant voneinander abweichen. Konkret heißt das: In der Praxis gibt es immer wieder Fälle, in denen Jugendamtsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter eine Volljährigkeit annehmen, der Jugendliche aber behauptet, minderjährig zu sein – oder umgekehrt. Diese Zweifelsfälle müssen grundsätzlich eine medizinische Alterseinschätzung nach sich ziehen, auch um das Kindeswohl nicht zu gefährden. Dies ist auch deswegen erforderlich, da es auch Jugendliche gibt, die sich als älter ausgeben, etwa um heiraten zu können oder um gleich arbeiten zu können anstatt zur Schule zu gehen.
Ergeben sich zudem Widersprüche in den eigenen Altersangaben, stimmen die Einschätzungen der Fachkräfte nicht überein oder gibt es sonstige Hinweise, die den Angaben der betroffenen Person widersprechen oder diese Angaben unglaubhaft erscheinen lassen, muss nach Ansicht des Jugendministeriums ebenfalls zusätzlich eine medizinische Alterseinschätzung vorgenommen werden. Die Voraussetzung für eine solche Untersuchung ist allerdings stets, dass eine Minderjährigkeit durch eine qualifizierte Inaugenscheinnahme nicht definitiv festzustellen ist.
Nach der Inobhutnahme eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings erfolgen in der Regel halbjährliche Hilfeplangespräche durch das Jugendamt. Somit ist eine regelmäßige Überprüfung der Hilfe sichergestellt. Werden zwischenzeitlich oder bei den regelmäßigen Gesprächen andere Erkenntnisse zum Alter oder Herkunft bekannt, zum Beispiel durch Ausweispapiere, Informationen Dritter oder auch geänderte Verhaltensweisen des jungen Menschen, erfolgt eine erneute Überprüfung und, falls die Minderjährigkeit infrage steht, die Veranlassung einer medizinischen Untersuchung.
Bei dem Fachgespräch in Berlin haben sich Medizinerinnen und Mediziner für ein kombiniertes methodisches Verfahren ausgesprochen, sollte eine medizinische Alterseinschätzung zur Anwendung kommen. Für eine generelle und regelhafte medizinische Altersbestimmung sehen sie keine Notwendigkeit.
Das Ministerium ist dabei, die Ergebnisse der Tagung auszuwerten und Empfehlungen für die zukünftige Praxis abzuleiten. Anfang Mai werden diese mit Vertreterinnen und Vertretern der kommunalen Jugendämter erörtert.
Zudem wird das rheinland-pfälzische Familienministerium das Bundesfamilienministerium bitten, den Ländern mit Blick auf Zweifelsfälle die aktuelle Rechtsauslegung der Bundesregierung darzulegen. Das Mainzer Familien- und Jugendministerium wird darüber hinaus bei den Kommunen weiter für eine Konzentrierung der Altersfeststellung und der vorläufigen Inobhutnahme bei wenigen Schwerpunktjugendämtern werben. Außerdem klärt das Ministerium gemeinsam mit dem LSJV, wer in Rheinland-Pfalz medizinische Untersuchungen im Zweifelsfall vornehmen und zu einem Gutachten zur Alterseinschätzung zusammenführen kann.
Hintergrund:
Der Begriff Altersfeststellung beschreibt das gesamte, mehrstufige Verfahren, um das Alter eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings zu bestimmen.
Die einzelnen Verfahrensschritte können hingegen nur zu einer Alterseinschätzung führen, da selbst das medizinische Verfahren eine Schwankungsbreite von zweieinhalb Jahren offen lässt.