Männer-Gewalt an Frauen ist weit verbreitet in Deutschland und wird in unterschiedlichen Formen ausgeübt: als körperliche, seelische, wirtschaftliche und insbesondere auch als sexualisierte Gewalt. Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die so genannte Istanbul-Konvention, verpflichtet alle staatlichen Stellen auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen – insbesondere in engen sozialen Beziehungen wie bei Partnerschaftsgewalt.
Dies stellt in Umgangs- und Sorgerechtsverfahren eine besondere Herausforderung dar, weil hier die Rechte von Eltern und Kindern aufeinandertreffen – z.B. wenn ein der Gewalt beschuldigte Vater weiterhin Umgang mit den Kindern haben möchte. Laut Artikel 31 der Istanbul-Konvention darf der Gewaltschutz nicht hinter dem Umgangs- und Sorgerecht des gewaltausübenden Elternteils zurücktreten. Die Sicherheit der Betroffenen und der Kinder muss demnach gewährleistet werden.
„In Sorgerechtsverfahren erleben wir in unserer Arbeit häufig jedoch Anderes“, sagt Anette Diehl vom Frauennotruf Mainz. „Der Schutz von Betroffenen bei Gewalt in engen sozialen Beziehungen ist häufig nicht sichergestellt. Auch wenn geschlagene oder vergewaltigte Ehefrauen von ihrem Partner getrennt sind, können diese über den Umgang mit den Kindern weiter Druck ausüben.“
Im Januar 2024 veröffentlichte aus diesem Grund das Bundesministerium der Justiz ein Eckpunkte-Papier für die Reformierung des Kindschaftsrechts - nachdem bei einer Überprüfung dringender Handlungsbedarf festgestellt wurde. Sorge-, Umgangs- und Adoptionsrechts sollen modernisiert werden und unter der Überschrift „Schutz vor Häuslicher Gewalt bei Sorge und Umgang“ geht das Ministerium auf die besondere Schutzbedürftigkeit auch von gewaltbetroffenen Elternteilen – in den meisten Fällen sind das Frauen - ein.
„Wir begrüßen diese lange überfällige Anerkennung des Schutzbedürfnisses von gewaltbetroffenen Frauen“, so Anette Diehl vom Frauennotruf Mainz. „Dies sind wichtige Schritte für die Sicherheit von Frauen und Kindern. Unser Bundesverband der Frauennotrufe und Frauenberatungsstellen (bff: Frauen gegen Gewalt e.V.) legt unsere Haltung hierzu in der ausführlichen Stellungnahme dar:
„Der bff: Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe begrüßt die vorgeschlagenen Eckpunkte des Bundesministeriums der Justiz für die Reform des Abstammungs- und Kindschaftsrechts, die wichtige Aspekte der Istanbul-Konvention aufgreifen und das Schutzbedürfnis gewaltbetroffener Elternteile in Sorge- und Umgangsverfahren anerkennen. Die geplanten Maßnahmen, wie die systematische Untersuchung von Anhaltspunkten für häusliche Gewalt durch Familiengerichte und die Klarstellung, dass bei Partnerschaftsgewalt ein gemeinsames Sorgerecht regelmäßig nicht in Frage kommt, sind wichtige Schritte für eine verbesserte Sicherheit von gewaltbetroffenen Frauen und Kindern.“
Die 215 ambulanten Fachberatungsstellen im Bundesverband bff fordern weiterhin u.a.:
- angemessene Rahmenbedingungen wie z.B. mehr Zeit für Familienrichter*innen bei der umfassenden und systematischen Ermittlung, Schulungen von Familienrichter*innen,
- ausreichende Kapazitäten in den Jugendämtern,
- getrennte Anhörungen der Elternteile bei Anhaltspunkten für Partnerschaftsgewalt,
- die Erweiterung der Verfahrenskostenhilfe.
Der Frauennotruf Mainz unterstützt als Fachstelle zum Thema sexualisierte Gewalt in seiner Arbeit seit 1979 Frauen* und Mädchen* ab 12 Jahren: „Wir erleben sowohl in der Beratungsarbeit als auch in unserer Psychosozialen Prozessbegleitung eindrücklich, welche Folgen und Auswirkungen fehlende schützende Rahmenbedingungen z.B. bei Umgangsregelungen haben können - nicht nur für die beteiligten Kinder, sondern besonders auch für die von gewaltbetroffenen Frauen.“
Daher sei eine umfassende Reform des Kindschaftsrechts wichtig, die das Schutzbedürfnis sowohl der Kinder, als auch der gewaltbetroffenen Frauen in den Fokus nimmt. „Das bedeutet z.B., dass bei Partnerschaftsgewalt ein gemeinsames Sorgerecht regelmäßig ausscheiden soll, dass Familiengerichte in Umgangsverfahren Anhaltspunkten für Gewalt umfassend nachgehen und eine Risikoanalyse vornehmen etc. So kann eine Kehrtwende zum besseren Schutz gewaltbetroffener Frauen und deren Kinder erfolgen.“