„Ich begrüße den Gesetzentwurf der Bundesregierung, aber in einigen Punkten ist er nicht weitreichend genug. Daher bin ich froh, dass unsere Anträge im Bundesrat eine Mehrheit gefunden haben. Ich hoffe, dass das Gesetz nun schnell verabschiedet wird, damit der Schutz, die Beratung und die Versorgung von intergeschlechtlichen Kindern und ihren Familien umfassend sicherstellt ist“, sagte Familienministerin Anne Spiegel. „Der Schutz von intergeschlechtlichen Kindern vor nichtlebensnotwendigen Operationen an ihren Geschlechtsorganen ist mir ein Herzensanliegen. Denn nichteinwilligungsfähige Kinder haben ein Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit und eine selbstbestimmte Entwicklung.“
Der Gesetzesentwurf stellt klar, dass Eltern nur dann in einen operativen Eingriff an den inneren oder äußeren Geschlechtsmerkmalen ihres Kindes einwilligen können, wenn dieser Eingriff nicht mit dem Ziel einer Geschlechtsangleichung vorgenommen wird und nicht bis zu einer späteren selbstbestimmten Entscheidung des Kindes aufgeschoben werden kann. Um das Kindeswohl bei der Abwägung eines Eingriffs sicherzustellen, können Eltern und Gericht die Stellungnahme einer interdisziplinären Kommission aus den Bereichen Medizin, Psychologie und Pädagogik als Entscheidungshilfe einholen.
Mit den Anträgen will Rheinland-Pfalz erreichen, dass Personen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung regelhaft Mitglied einer interdisziplinären Kommission sind, die Eltern intergeschlechtlicher Kinder eine praxisnahe Vorstellung der Auswirkungen der möglichen Entscheidungen vermitteln können. „Eine Peer-Beratung ist im Gesetzentwurf bisher nur fakultativ verankert. Für die Entscheidungsfindung ist es jedoch wichtig, neben professionellen Fachkräften auch von einer Person beraten zu werden, die selbst mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung lebt, denn die Betroffenen selbst können am besten darüber Auskunft geben, was verschiedene Entscheidungsoptionen bedeuten“, erklärte die Landesbeauftragte für gleichgeschlechtliche Lebensweisen und Geschlechtsidentität Christiane Rohleder.
Daneben sehen die rheinland-pfälzischen Anträge die Schaffung eines zentralen Registers vor. „Damit wollen wir Betroffenen die Recherche und den Zugang zu ihren Patientenakten erleichtern, wenn sie erst nach Jahren von den Eingriffen erfahren“, führt die Ministerin aus. „Besonders wichtig ist mir aber auch das Verbot des Bougierens, denn diese Behandlungsmethode wird von den Betroffenen als schmerzhafter Eingriff und sexueller Übergriff erlebt.“ Bei Kleinkindern, denen vor dem geplanten Verbot geschlechtsangleichender Behandlungen beispielsweise eine Neovagina operativ angelegt wurde, würde andernfalls das künstlich angelegte Organ über einen langen Zeitraum regelmäßig gedehnt (bougiert) werden.
Weitere Informationen zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt sind eingestellt unter www.regenbogen.rlp.de.
Hintergrund
In Deutschland werden noch immer Babys nicht notwendigen Operationen an den Geschlechtsorganen unterzogen, weil sie nicht den gesellschaftlichen Normen entsprechen, wie ein Mädchen oder Junge auszusehen hat. Unter den körperlichen und psychischen Folgen solcher Operationen leiden viele Betroffene ihr Leben lang. Die Ruhr‐Universität Bochum hatte Anfang 2019 eine Follow-Up-Studie zur „Häufigkeit normangleichender Operationen `uneindeutiger` Genitalien im Kindesalter“ veröffentlicht. Das ernüchternde Ergebnis zeigt, dass im Vergleich zu der ersten Studie 2016 kein Rückgang der Operationen zu verzeichnen ist.